Montag, 18. Februar 2008
Generation doof und die Art der Liebe.
Obwohl ich altersmäßig absolut nicht zum alten Eisen zähle, so kommt es mir doch immer öfters vor, dass ich mich bei so manchem gesellschaftlichen Phänomen unendlich alt fühlte. Oder zumindest fehl am Platze, wenn ich das so sagen darf. Man wünscht sich schlichtweg ergreifend nicht zu dieser Generation zu gehören, da man mit dem Pack nicht ein Quäntchen gemein hat. Schon gar nicht was mit Lebensart und Hobbys zutun hat.
Es betrifft nicht nur das Rauchen oder den Suff, wie er von „Generation doof“ so vorzüglich zelebriert wird, sondern vor allem und gerade das Liebes- und Familienleben der modernen Gefühlskrüppel, die zunehmend zu echten Vollzeitegozentrikern werden.
Doch eine Gesellschaft, die nicht fähig ist, ihre Güter solange sorgsam zu nutzen bis sie wirklich verbraucht sind, sondern stattdessen Kindern gleich nach neuen Spielzeugen schreit, muss sich auch nicht wundern, wenn der Mensch zunehmend zu einer Wegwerfware verkommt.
Wenn die CDU irgendetwas von alten Werten wie etwa Familie faselt, darf man sie ruhig ebenso wie die FDP für eine Spaßpartei halten. Es ist nun wahrlich kein Geheimnis, wie sehr sich Familie und freie Marktwirtschaft konträr gegenüber stehen. So mutet es eben gerade deswegen besonders schizophren an, dass Konservative „alte Werte“ ebenso verteidigen wie etwa den Kapitalismus/Neoliberalismus in der absoluten Form als das höchste der Gefühle.
Doch statt dem veralteten protestantischem Kapitalismus, besitzen wir nun eine neue Form, die nicht mehr aus puritanischen Gründen arbeitet und Geld spart, sondern eine Art „Fun-Kapitalismus“, der so viel Spaß verleiht, wie man Geld scheffelt. Das Recht der vollen Tasche sorgt für einen ungezügelten Konsum, der auch gerade diejenigen anheizt, die sich nicht das edle Gefresse der Reichen leisten können. Was das mit Liebe zutun hat? Sehr viel.
Wenn wir uns daran gewöhnen, bei jedem Stimmungstief einen Konsumrausch zu starten, werden wir schon sehr bald – es ist teilweise schon so – Menschen ebenso behandeln, wie einen Toaster, der nicht mehr zur neuen Wandfarbe der Küche passt. Der Partner wird nicht mehr nach Gesichtspunkten der möglichst langen Beziehung oder gar Ehe ausgesucht, sondern wird allein an Maßstäben des Geldes und des Spaßfaktors gesetzt. Bestimmte Artikel wie etwa in „jetzt.de“ (Süddeutsche für Generation doof) zeugen von der allgemeinen Stimmung bezüglich Partnerschaft: Warum für einen sich sparen, wenn man mehrere haben kann? Und wenn einer von denen anfängt zu „nerven“ wird er per SMS an die frische Luft gesetzt.
Aber fangen wir doch einmal an.
Es geht dabei um eine Figur in einem Film und das Ideal der Autorin:
Jetzt erfahren wir auch noch, dass Swinton total lässig Liebesbeziehungen zu gleich zwei verschiedenen Männern pflegt. Der eine ist knapp zwanzig Jahre älter und lebt mit ihr und den gemeinsamen Kindern. Der andere ist knackige zwanzig Jahre jünger und für Reisebegleitung und romantisches Bespaßungsprogramm zuständig. Swinton findet das Unternehmen „einfach so vernünftig“.
Was daran „vernünftig“ sein soll, bleibt mir schleierhaft. In der Regel sorgen Affären bloß für Ärger und sind in den seltensten Fällen offen und ehrlich. Um ehrlich zu sein: wäre ich der Ehemann, würde Geld für die Familie heranschaffen, sorge mich um Frau und Kinder und muss dann mit anhören, dass Madame bei einem Schürzenjäger sich „bespaßen“ lässt… Das wäre nicht nur ein Liebes- und Vertrauensbruch, sondern zudem auch absolut undankbar und respektlos gegenüber dem Ehemann. Vernünftig wäre dagegen die Einsicht, das nicht alles immer Fun und Spaß ist. Auch leidliche Erfahrungen gehören zum Leben dazu und erfordern unseren Einsatz. Alle reden sie von „Zen“, aber wehe, sie sollen die buddhistische Wahrheit „Alles ist Leid“ tatsächlich erfassen. Da sind sie wieder erstaunlich still.
Aller Erfahrung nach liegt die Unfähigkeit, immer nur einen Menschen gut zu finden, in der Natur des Menschen. Die Literatur, die Popmusik, die Telenovela, das Tagebuch auf jetzt.de – all die kulturellen Errungenschaften der westlichen Welt wären ein Nichts, wären traurig und öde ohne die verbotene Romanze und den heimlichen Seitensprung. Heimliche Verguckungen und sexuelle Nebenschlachtfelder sind der Kleister, der größere Freundeskreise und kleinere Ortsgemeinden an der Basis zusammenhält.
Wohl eher Klatsch und Tratsch und der entsteht nur nicht aus sexuellen Trieben heraus. Aber vermutlich stimmt irgendetwas nicht mit mir, denn interessanterweise brauche ich keine „Bespaßung“ neben meinem Ehemann. Meiner reicht mir, er ist mein bester Freund, mein Seelenverwandter zugleich. Warum noch einen daneben? Andere „gut finden“ kann ich trotzdem. Warum muss das immer im sexuellen Kontext sein? Ich finde auch meinen homosexuellen Kumpel gut oder meine Kumpanin im Kunstkurs. Den Sencha-Tee auf meinen Tisch. Ich finde einen Menschen nicht gut, weil er sexuell attraktiv ist, sondern weil er für mich vernünftige Ansichten vertritt. Ich find’s weder schade noch traurig, oder sonst was. So bösartig es auch klingt: Dummes Gerede ist etwas für die Kleingeister unter uns. Die politische, wirtschaftliche und soziale Situation der Gesellschaft empfinde ich als wichtiger. Es ist schon ziemlich schade, wenn etwas so schönes und intimes wie Sex zum Kleber für sonst unsinnige Beziehungen ist. Wo sind die Brettspielabende, die Parteigruppentreffs und Tanzabende hin, bei denen sich die Menschen noch sinnvoll beschäftigt haben? Und wer kommt eigentlich auf die dümmliche Idee, Fremdgehen sei die Natur des Menschen? Nein, ich will jetzt nichts von Zwergschimpansen hören. Denn wir sind keine Zwergschimpansen, sondern eine eigene, denkende (so sollte es zumindest sein) Art. Wir besitzen ein großes Gehirn, wieso benutzen wir das nicht ab und an mal?
Selig sind diejenigen, die viele Jahre in einer Beziehung leben, ohne sich irgendwann zwischendurch mal seitwärts zu verlieben, denn sie wissen nicht, was eine temporäre Schizophrenie ist. Ein bisschen unheimlich sind sie aber auch.
Ja, mir wurde schon oft genug nachgesagt, ich sei zu ernst, langweilig und trocken. Und natürlich unfeminin, weil ich mich nicht jedem Mann an den Hals werfe. Sagen interessanterweise nur Jugendliche und Junge Erwachsene. Meine Lehrer, Professoren und allgemein ältere Semester schätzen mich dagegen für meine Vernunft.
Vermutlich sind die genauso trocken wie ich.
Zudem fehlt mir hier die Differenzierung: Zwischen einer harmlos-oberflächlichen Schwärmerei und dem Verlieben bestehen gewaltige Unterschiede. Eine Schwärmerei ist von kurzer Dauer, kaum intensiv und vergeht ohne großartige Folgen. Schwärmen, das kann man auch für irgendwelche Popstars.
Dass sich zwei Menschen über viele Jahre und durch viele Phasen synchron und parallel entwickeln ist zwar das allgemeine Beziehungsideal, aber in Wahrheit ein ganz seltenes Glück. Es ist halt so: Nur wenige Menschen auf dieser Welt erfüllen alle Maßstäbe, die wir an sie anlegen. Entweder sie mögen unsere Freunde nicht, oder sie wollen anders Sex. Wir finden die Musik abscheulich, die sie hören, oder haben etwas an ihren Körperpflegegewohnheiten auszusetzen.
Erinnert sich jemand noch daran, wie ich erwähnte, wir behandeln zunehmend unsere Mitmenschen als Ware? Hier findet’s sich wieder. Wenn eine Beziehung wirklich daran zerbricht, weil die Dame ab und zu Popmusik hört, aber der Herr lieber Metal, so ist das… Ziemlich bezeichnend für eine Gesellschaft, deren Mitglieder eine derartig ausgeprägte Egozentrik entwickelt haben, dass der Partner nur noch das Accessoire darstellt. Freilich hat er oder sie komplett die Bedürfnisse und Anforderungen zu erfüllen, ansonsten darf er/sie sich gleich trollen. Man muss schon fähig sein, Kompromisse zu bilden, und wo’s gar nicht geht, sollte man vorher das geehrte Hirn einschalten anstatt ins Bett zu gehen. Der Partner ist ebenso ein fühlendes und denkendes Wesen wie man selbst, mit eigenen Hobbys, Einstellungen, Ängsten und Zielen. Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht was bess’res findet.
Und wenn wir ehrlich sind, verlangen wir auch ganz schön zu viel, wenn wir von einer Person die Erfüllung all unserer Wünsche erwarten.
Nicht nur das. Was wünschen wir uns eigentlich? Für viele rund um die Uhr ein Spaßprogramm, dickes Geld und jede Meine freie Zeit. Wehe der Geldgeber Ehemann wird arm durch Verspekulierung etcetera: Dann geht’s nomadisch zum nächsten. Wer will denn schon Kinder und einen liebenden Mann?
Beides ist schmerzhaft und traurig und deswegen könnte man eigentlich Frau Swinton zu ihrer Lösung beglückwünschen. Sie zwingt nicht einen einzelnen Menschen dazu, ihr in allen Lebenslagen zur Verfügung zu stehen, sondern ordnet die Männer um sich herum so an, dass sie nur in den Situationen zum Einsatz kommen müssen, zu denen sie passen. Also den geerdeten 68jährigen als Familienvater und den freshen Junggaleristen als Partypartner. Wenn die beiden damit zurecht kommen, warum auch nicht?
Ja, wenn. Nicht nur, dass es ziemlich verachtend ist, Männer nach Bedarf zu „ordnen“, es passt sicher auch den Kindern nicht, wenn Mami regelmäßig einen anderen Mann über sich rutschen lässt, der nicht Papi ist.
An der Stelle würde ich wirklich sehr gerne wissen, welcher Mann damit absolut keine Probleme hätte? Meinungen der werten Herren bitte als Kommentare!
Vermutlich, weil die Normen unserer Gesellschaft stärker sind, als die meisten ihrer Mitglieder. Weil es schon fast unmöglich ist, über eine Dreiecksbeziehung ironiefrei nachzudenken und nicht nur auf emotionale Verkommenheit oder Gier zu reduzieren.
Es ist auch nicht gerade produktiv, „Monogamisten“ als feige, vertrocknete Langweiler darzustellen. Ironiefrei sind Dreiecksbeziehungen nie, man muss schon ein dickes Fell besitzen und keinen „Anspruch“ erheben wollen. Wer schafft das schon? Viele hätten gerne das Sozialleben der Katze, aber solche Menschen verkennen, dass wir überaus soziale Familientiere sind. Nicht der Staat war das erste Gemeinwesen, sondern die Familie und der daraus resultierende Clan.
Die Vorstellung von Exklusivität in der Liebe liegt nun mal genauso in der Natur des Menschen wie seine Tendenz immer noch mehr oder etwas anderes zu wollen. Leider erlauben wir eben nur unseren Eltern, andere Menschen neben uns zu lieben. Und tragen, wenn die das nicht absolut gerecht tun, auch lebenslange Schäden davon. Tja, und dazu kommt dann die Praxis. Denn letztlich kann sich kein Mensch – romantisch gesehen – auf zwei Personen gleichzeitig konzentrieren. Und wenn er es versucht, kann er damit rechnen, früher oder später so ausgelaugt und verstimmt zu enden, dass eh niemand mehr in ihn verliebt bleibt.
    Bis auf zwei Dinge gehe ich damit konform:
  • Es liegt keine Tendenz in der Natur des Menschens, immer anderes haben zu wollen. Diese „Haben!Haben!Haben!“-Mentalität ist ein herangezüchteter Wesenszug aus den Äonen des Kapitalismus. Es ist eine Binsenweisheit, das wir gepaart mit überzogenen Anforderungen immer auf das „Bessere“ warten, weil wir uns partout nicht zufrieden geben wollen. Wir müssen beginnen uns wieder auf das Wesentliche in unserem Leben zu konzentrieren und nicht auf den nicht-existenten Märchenprinz zu warten. Das geht vor allem an jene Geschlechtsgenossinnen meinerseits, die den loyalen und ehrlichen Liebenden ablehnen, nur weil seine Geldbörse nicht platzt.
  • Was heißt hier „Leider?“ Ich würde das nicht mitmachen. An den/die Mann/Frau des Lebens so viele Jahre des Lebens zu verschenken und dann auf’s Abstellgleis gestellt zu werden, weil’s langsam Falten gibt? Nein, danke. Ich würde mit 80 Jahren gerne gemeinsam mit dem Lebensgefährten resümieren können.
Nein, ich bin keine Monogamie-Fanatikerin, keine Konservative oder Sittenwächterin, aber eine (versuchte) Stimme der Vernunft. Und so übertrieben ist die Ansicht der Dinge nicht. In Amerika, dem kapitalistischen Land der aufgehenden (Dollar)Sonne, sind in 90% aller Scheidungen die lieben Finanzen der Hauptgrund. Das ist erbärmlich, wenn man bedenkt, was die Ehe an sich eigentlich ist.
Statt dem Ideal einer Liebe, die aus einer Besten-Freunde-Situation heraus entstanden ist, zählen nur noch oberflächliche Gesichtspunkte und ein allgemeiner Konsens, das Liebe bloß Spaß und Sex ist. Der Partner ist nicht mehr wichtig sobald er die eigenen Triebe nicht mehr erfüllen kann und wehe, er ist einmal traurig und benötigt sonst wie Unterstützung! Dann tritt der Ottonormalmensch gerne den Rückzug an.
Das größer werdende Unvermögen, stabile und dauerhafte Beziehungen aufbauen zu können, trifft besonders die Kinder, da diese auf feste und allseits verfügbare Elternpersonen angewiesen sind. Sie können ebenso wenig auf die Mutter verzichten als wie auf den Vater. Poweremanzen, die noch immer meinen, der Mann sei bloß „Befruchter“, sollten sich ganz dringend über die neuesten Studien informieren: Kinder ohne eine Vaterperson laufen eher Gefahr asoziales Verhalten zu entwickeln als Kinder mit Vater.

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Mittwoch, 14. November 2007
Was Einstein über den Sozialismus sagte.
Das folgende Essay "Why Socialism" gehört sicherlich zu den unbekanntesten Arbeiten Albert Einsteins. Die Tatsache, dass sich Einstein einen Großteil seines Lebens als Sozialist verstand und gegen Faschismus und Krieg engagierte, wird von bürgerlichen Medien gerne verschwiegen. "Why Socialism" wurde erstmals 1949 in der ersten Ausgabe der Zeitschrift 'Monthly Review' veröffentlicht.

Ist es nun ratsam für jemanden, der kein Experte auf dem Gebiet ökonomischer und sozialer Fragen ist, sich zum Wesen des Sozialismus zu äußern? Ich denke aus einer Reihe von Gründen, daß dies der Fall ist.

Laßt uns die Frage vorerst vom Standpunkt der wissenschaftlichen Erkenntnisse aus betrachten. Es mag so erscheinen, als ob es keine wesentlichen methodologischen Unterschiede zwischen Astronomie und Ökonomie gäbe: Wissenschaftler beider Gebiete versuchen allgemein akzeptable Gesetze für eine begrenzte Anzahl von Phänomenen zu entdecken um deren Zusammenhänge so verständlich wie möglich zu machen. Aber in Wirklichkeit existieren solche methodologischen Unterschiede. Die Entdeckung von allgemeingültigen Gesetzen im Bereich der Ökonomie wird dadurch erschwert, daß die zu betrachtenden ökonomischen Phänomene von vielen Faktoren beeinflußt sind, die einzeln schwer zu beurteilen sind. Außerdem waren die Erfahrungen, die sich seit Beginn der sogenannten "zivilisierten Periode" der menschlichen Geschichte angesammelt haben - wie wir wissen - stark von Faktoren beeinflußt und beschränkt, die keineswegs ausschließlich ökonomischer Natur sind. Zum Beispiel verdanken die größeren Staatengebilde ihre Existenz den Eroberungen. Die erobernden Völker machten sich selbst - gesetzlich und wirtschaftlich gesehen - zur privilegierten Klasse des eroberten Landes. Sie sicherten sich das Monopol an Landbesitz und ernannten Priester aus ihren eigenen Reihen. Diese Priester - die die Macht über das Erziehungswesen hatten - institutionalisierten die Teilung der Gesellschaft in Klassen und schufen ein Wertesystem, das die Menschen von da an - in einem hohen Grad unbewußt - in ihrem sozialen Verhalten leitete.

Aber auch wenn diese historische Tradition eigentlich der Vergangenheit angehört, haben wir das, was Thorstein Veblen die ,,räuberische Phase" der menschlichen Entwicklung nannte, nirgends wirklich überwunden. Die wahrnehmbaren ökonomischen Fakten gehören zu eben dieser Phase und selbst diejenigen Gesetze, die wir aus ihnen ableiten können sind nicht auf andere Phasen anwendbar. Da es das reale Ziel des Sozialismus ist, genau über diese räuberische Phase menschlicher Entwicklung zu siegen und diese zu überwinden, kann die heutige wissenschaftliche Ökonomie wenig Licht auf die zukünftige sozialistische Gesellschaft werfen.

Zum Zweiten ist der Sozialismus auf ein sozial-ethisches Ziel ausgerichtet. Wissenschaft kann jedoch keine Ziele schaffen, geschweige denn sie den Menschen einflößen:
Wissenschaft kann bestenfalls die Mittel liefern, mit denen bestimmte Ziele erreicht werden können.

Aber die Ziele selbst werden von Persönlichkeiten mit hochgesteckten ethischen Idealen erdacht und - wenn diese Ziele nicht totgeboren, sondern vital und kraftvoll sind - werden sie von den vielen Menschen übernommen und weitergetragen, die teilweise unbewußt die langsame Weiterentwicklung der Gesellschaft bestimmen.

Aus diesen Gründen sollten wir auf der Hut sein und keine Wissenschaft und wissenschaftliche Methode überschätzen, wenn es um eine Frage der Probleme der Menschheit geht; und wir sollten nicht davon ausgehen, daß Experten die einzigen sind, die ein Recht darauf haben, sich zu Fragen zu äußern, die die Organisation der Gesellschaft betreffen.

Unzählige Stimmen behaupten seit geraumer Zeit, daß nun, da die menschliche Gesellschaft eine Krise durchmache, ihre Stabilität ernsthaft erschüttert worden sei. Es ist charakteristisch für solch eine Situation, daß sich Individuen gleichgültig oder sogar feindlich gegenüber der kleinen oder großen Gruppe verhalten, zu der sie gehören. Hierzu eine persönliche Erfahrung: Ich erörterte vor kurzem mit einem intelligenten und freundlich gesonnenen Mann die Bedrohung durch einen erneuten Krieg, der meiner Meinung nach die Existenz der Menschheit ernsthaft gefährden würde, und ich bemerkte, daß nur eine supranationale Organisation Schutz vor dieser Gefahr gewährleisten könnte. Daraufhin sagte mein Besucher - sehr ruhig und gelassen -: "Warum bist du so vehement gegen das Verschwinden der Menschheit?"

Ich bin mir sicher, daß ein Jahrhundert früher niemand so leicht eine derartige Bemerkung gemacht hätte. Es ist die Aussage eines Mannes, der sich vergebens bemüht hat, sein inneres Gleichgewicht zu finden und der mehr oder weniger die Hoffnung auf Erfolg verloren hat. Es ist der Ausdruck einer schmerzhaften Vereinsamung und Isolation, an der so viele Leute in dieser Zeit leiden. Was ist die Ursache? Gibt es einen Ausweg?

Es ist einfach, solche Fragen aufzuwerfen, viel schwieriger hingegen, sie mit Gewißheit zu beantworten. Doch das muß ich versuchen, so gut ich kann, obwohl ich mir der Tatsache bewußt bin, daß unsere Gefühle und unsere Bestrebungen oft widersprüchlich und obskur sind und daß sie nicht in einfachen Formeln ausgedrückt werden können.

Der Mensch ist gleichzeitig ein Einzel- und ein Sozialwesen. Als ein Einzelwesen versucht er, seine eigene Existenz und die derjenigen Menschen zu schützen, die ihm am nächsten sind sowie seine Bedürfnisse zu befriedigen und seine angeborenen Fähigkeiten zu entwickeln. Als ein Sozialwesen versucht er, die Anerkennung und Zuneigung seiner Mitmenschen zu gewinnen, ihre Leidenschaften zu teilen, sie in ihren Sorgen zu trösten und ihre Lebensumstände zu verbessern. Allein die Existenz dieser vielseitigen, häufig widerstreitenden Bestrebungen macht den speziellen Charakter des Menschen aus, und die jeweilige Kombination bestimmt, inwieweit ein Individuum sein inneres Gleichgewicht erreichen und damit etwas zum Wohl der Gesellschaft beitragen kann. Es ist gut vorstellbar, daß die relative Kraft dieser beiden Antriebe hauptsächlich erblich bedingt ist. Aber die Persönlichkeit wird letztlich weitestgehend von der Umgebung geformt, die ein Mensch zufällig vorfindet, durch die Gesellschaftsstruktur, in der er aufwächst, durch die Traditionen dieser Gesellschaft und dadurch, wie bestimmte Verhaltensweisen beurteilt werden. Der abstrakte Begriff ,,Gesellschaft" bedeutet für den einzelnen Menschen die Gesamtheit seiner direkten und indirekten Beziehungen zu seinen Zeitgenossen den Menschen früherer Generationen. Das Individuum allein ist in der Lage, zu denken, zu fühlen, zu kämpfen, selbständig zu arbeiten; aber es ist in seiner physischen, intellektuellen und emotionalen Existenz derart abhängig von der Gesellschaft, daß es unmöglich ist, es außerhalb des gesellschaftlichen Rahmens zu betrachten. Es ist die "Gesellschaft" die den Menschen Kleidung, Wohnung, Werkzeuge, Sprache, die Formen des Denkens und die meisten Inhalte dieser Gedanken liefert, sein Leben wird durch die Arbeit möglich gemacht und durch die Leistungen der vielen Millionen Menschen früher und heute, die sich hinter dem Wörtchen "die Gesellschaft" verbergen.

Deshalb ist die Abhängigkeit des Einzelnen von der Gesellschaft ein Naturgesetz, das - wie im Falle von Ameisen und Bienen - offenbar nicht einfach so abgeschafft werden kann. Doch während der gesamte Lebensprozeß von Ameisen und Bienen bis hin zum kleinsten Detail an starre, erbliche Instinkte gebunden ist, sind die sozialen Muster und die engen sozialen Verbindungen der Menschen sehr empfänglich für verschiedenste Veränderungen. Das Gedächtnis, die Kapazität, Neues zu versuchen und die Möglichkeit, mündlich zu kommunizieren haben für den Menschen Entwicklungen möglich gemacht, die nicht von biologischen Gegebenheiten diktiert wurden. Solche Entwicklungen manifestieren sich in Traditionen, Institutionen und Organisationen, in der Literatur, in wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften, in künstlerischen Arbeiten. Das erklärt, weshalb der Mensch in einem gewissen Sinne sein Leben selbst beeinflussen kann und daß in diesem Prozeß bewußtes Denken und Wollen eine Rolle spielt.

Der Mensch erwirbt mit der Geburt durch Vererbung eine biologische Grundlage, die wir als fest und unabänderlich betrachten müssen. Dies schließt die natürlichen Triebe ein, die für die menschliche Spezies charakteristisch sind. Darüber hinaus erwirbt er während seines Lebens eine kulturelle Grundlage, die er von der Gesellschaft durch Kommunikation und durch viele andere Arten von Einflüssen übernimmt. Es ist diese kulturelle Grundlage, die im Lauf der Zeit Änderungen unterworfen ist, und die zu einem großen Teil die Beziehungen zwischen dem Individuum und der Gesellschaft bestimmt. Die moderne Anthropologie hat uns durch vergleichende Untersuchungen der sogenannten "primitiven Kulturen" gelehrt, daß das soziale Verhaften von Menschen sehr unterschiedlich sein kann und jeweils abhängig ist von den vorherrschenden kulturellen Mustern und dem in der Gesellschaft vorherrschenden Organisationstyp. Auf diese Tatsache können diejenigen bauen, die das Los der Menschen verbessern wollen: Menschen werden nicht durch ihre biologischen Konstitution dazu verdammt, einander zu vernichten oder auf Gedeih und Verderb einem schrecklichen, selbst auferlegten Schicksal zu erliegen.

Wenn wir uns fragen, wie die Gesellschaftsstruktur und die kulturelle Einstellung des Menschen geändert werden soll, um das menschliche Leben so befriedigend wie möglich zu machen, sollten wir uns immer bewußt sein, daß es bestimmte Bedingungen gibt, die wir unmöglich verändern können. Wie bereits erwähnt, sieht die biologische Natur des Menschen in der Praxis keine Änderung vor. Des weiteren haben technologische und demographische Entwicklungen der letzten Jahrhunderte Bedingungen geschaffen, die bleibend sind. Bei einer relativ hohen Bevölkerungsdichte und mit Blick auf die Waren, die für ihre Existenz unentbehrlich sind, sind eine extreme Arbeitsteilung und ein hoch zentralisierter Produktionsapparat unbedingt notwendig. Die Zeiten, in denen Individuen oder relativ kleine Gruppen völlig autark sein konnten - und die zurückblickend so idyllisch erscheinen - sind unwiderruflich vorbei. Es ist nur eine leichte Übertreibung, zu behaupten, daß die Menschheit jetzt sogar eine weltweite Gemeinschaft in Bezug auf Produktion und Verbrauch bildet.

An diesem Punkt angelangt kann ich kurz aufzeigen, was für mich das Wesen der Krise unserer Zeit ausmacht. Es betrifft die Beziehung des Einzelnen zur Gesellschaft. Der Einzelne ist sich seiner Abhängigkeit von der Gesellschaft bewußter als je zuvor. Aber er erfährt diese Abhängigkeit nicht als etwas Positives, Organisches, als Schutzgewalt, sondern eher als eine Bedrohung seiner naturgegebenen Rechte, oder sogar seiner ökonomischen Existenz. Außerdem ist seine Stellung in der Gesellschaft so, daß die egoistischen Triebe ständig hervorgehoben, während die sozialen Triebe, die er von Natur aus hat, schwächer werden und immer mehr verkümmern. Alle Menschen leiden unter diesem Prozeß der Verschlechterung - ganz gleich welche Stellung sie in der Gesellschaft innehaben. Als unwissentlich Gefangene ihrer eigenen Ichbezogenheit fühlen sie sich unsicher, einsam und des ursprünglichen, einfachen und schlichten Genusses des Lebens beraubt. Der Mensch kann den Sinn seines kurzen und bedrohten Lebens nur innerhalb der Gesellschaft finden.

Die ökonomische Anarchie der kapitalistischen Gesellschaft heute ist meiner Meinung nach die eigentliche Ursache des Übels. Wir sehen vor uns eine riesige Gemeinschaft von Erzeugern, deren Mitglieder unaufhörlich bestrebt sind, einander die Früchte ihrer kollektiven Arbeit zu entziehen, - nicht mit Gewalt, aber in getreuer Einhaltung der gesetzlich feststehenden Regeln. In dieser Hinsicht ist es wichtig, zu realisieren, daß die Produktionsmittel - d.h. die ganze produktive Kapazität, die für das Produzieren von Verbrauchsgütern wie auch zusätzlichen lnvestitionsgütern erforderlich ist, - gesetzlich gesehen im privaten Besitz von Individuen sein können und zum größten Teil ist das auch so.

Um es einfacher zu machen werde ich im folgenden all jene als "Arbeiter" bezeichnen, die kein Eigentum an Produktionsmitteln besitzen - auch wenn dies nicht der üblichen Verwendung des Ausdrucks entspricht. Der Eigentümer der Produktionsmittel ist in einer Position, in der er die Arbeitskraft des Arbeiters kaufen kann. Mit den Produktionsmitteln produziert der Arbeiter neue Waren, die ins Eigentum des Kapitalisten übergehen. Wesentlich in diesem Prozeß ist die Relation zwischen dem, was der Arbeiter verdient und dem, was ihm dafür bezahlt wird - beides gemessen am wirklichen Wert. Dadurch daß der Arbeitsvertrag ,,offen" ist, wird das was der Arbeiter erhält nicht vom wirklichen Wert der produzierten Waren bestimmt sondern durch seinen Minimalbedarf und durch die Erfordernisse des Kapitalisten im Zusammenhang mit der Zahl der Arbeiter, die miteinander um die Arbeitsplätze konkurrieren. Es ist wichtig, zu verstehen, daß sogar in der [ökonomischen] Theorie die Bezahlung des Arbeiters nicht vom Wert seines Produkts bestimmt wird.

Privates Kapital tendiert dazu, in wenigen Händen konzentriert zu werden - teils aufgrund der Konkurrenz zwischen den Kapitalisten und teils, weil die technologische Entwicklung und die wachsende Arbeitsteilung die Entstehung von größeren Einheiten auf Kosten der kleineren vorantreiben. Das Ergebnis dieser Entwicklungen ist eine Oligarchie von privatem Kapital, dessen enorme Kraft nicht einmal von einer demokratisch organisierten politischen Gesellschaft überprüft werden kann. Dies ist so, da die Mitglieder der gesetzgebenden Organe von politischen Parteien ausgewählt sind, die im Wesentlichen von Privatkapitalisten finanziert oder anderweitig beeinflußt werden und in der Praxis die Wähler von der Legislative trennen. Die Folge ist, daß die "Volksvertreter" die Interessen der unterprivilegierten Schicht der Bevölkerung nicht ausreichend schützen. Außerdem kontrollieren unter den vorhandenen Bedingungen die Privatkapitalisten zwangsläufig direkt oder indirekt die Hauptinformationsquellen (Presse, Radio, Bildung). Es ist deshalb äußerst schwierig und, für den einzelnen Bürger in den meisten Fällen fast unmöglich, objektive Schlüsse zu ziehen und in intelligenter Weise Gebrauch von seinen politischen Rechten zu machen.

Die Situation in einem Wirtschaftssystem, das auf dem Privateigentum an Kapital basiert, wird durch zwei Hauptprinzipien charakterisiert: erstens sind die Produktionsmittel (das Kapital) in privatem Besitz, und die Eigentümer verfügen darüber, wie es ihnen paßt; zweitens ist der Arbeitsvertrag offen. Natürlich gibt es keine rein kapitalistische Gesellschaft. Vor allem sollte beachtet werden, daß es den Arbeitern durch lange und bittere politische Kämpfe gelungen ist, bestimmten Kategorien von Arbeitern, eine ein wenig verbesserte Form des "nichtorganisierten Arbeitervertrags" zu sichern. Aber als Ganzes genommen unterscheidet sich die heutige Wirtschaft nicht sehr von einem "reinem" Kapitalismus.

Die Produktion ist für den Profit da - nicht für den Bedarf. Es gibt keine Vorsorge dafür, daß all jene, die fähig und bereit sind, zu arbeiten, immer Arbeit finden können. Es gibt fast immer ein "Heer von Arbeitslosen". Der Arbeiter lebt dauernd in der Angst, seinen Job zu verlieren. Da arbeitslose und schlecht bezahlte Arbeiter keinen profitablen Markt darstellen, ist die Warenproduktion beschränkt und große Not ist die Folge. Technologischer Fortschritt führt häufig zu mehr Arbeitslosigkeit statt zu einem Milderung der Last der Arbeit für alle. Das Gewinnmotiv ist in Verbindung mit der Konkurrenz zwischen den Kapitalisten für Instabilität in der Akkumulation und Verwendung des Kapitals verantwortlich und dies bedeutet zunehmende Depressionen. Unbegrenzte Konkurrenz führt zu einer riesigen Verschwendung von Arbeit und zu dieser Lähmung des sozialen Bewußtseins von Individuen, die ich zuvor erwähnt habe.

Diese Lähmung der Einzelnen halte ich für das größte Übel des Kapitalismus. Unser ganzes Bildungssystem leidet darunter. Dem Studenten wird ein übertriebenes Konkurrenzstreben eingetrichtert und er wird dazu ausgebildet, raffgierigen Erfolg als Vorbereitung für seine zukünftige Karriere anzusehen.

Ich bin davon überzeugt, daß es nur einen Weg gibt, dieses Übel loszuwerden, nämlich den, ein sozialistisches Wirtschaftssystem zu etablieren, begleitet von einem Bildungssystem, das sich an sozialen Zielsetzungen orientiert. In solch einer Wirtschaft gehören die Produktionsmittel der Gesellschaft selbst und ihr Gebrauch wird geplant. Eine Planwirtschaft, die die Produktion auf den Bedarf der Gemeinschaft einstellt, würde die durchzuführende Arbeit unter all denjenigen verteilen, die in der Lage sind zu arbeiten und sie würde jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind einen Lebensunterhalt garantieren. Die Bildung hätte zum Ziel, daß die Individuen zusätzlich zur Förderung ihrer eigenen angeborenen Fähigkeiten einen Verantwortungssinn für die Mitmenschen entwickeln anstelle der Verherrlichung von Macht und Erfolg in unserer gegenwärtigen Gesellschaft.

Dennoch ist es notwendig festzuhalten, daß eine Planwirtschaft noch kein Sozialismus ist. Eine Planwirtschaft als solche kann mit der totalen Versklavung des Individuums einhergehen. Sozialismus erfordert die Lösung einiger äußerst schwieriger sozio-politischer Probleme: Wie ist es angesichts weitreichender Zentralisierung politischer und ökonomischer Kräfte möglich, eine Bürokratie daran zu hindern, allmächtig und maßlos zu werden? Wie können die Rechte des Einzelnen geschützt und dadurch ein demokratisches Gegengewicht zur Bürokratie gesichert werden?

In unserem Zeitalter des Wandels ist Klarheit über die Ziele und Probleme des Sozialismus von größter Bedeutung. Da unter den gegenwärtigen Umständen die offene und ungehinderte Diskussion dieser Probleme einem allgegenwärtigen Tabu unterliegt halte ich die Gründung dieser Zeitschrift für ausgesprochen wichtig.

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Konzernmacht und ihre Auswirkungen.
Zuckerlimonade und Frankensteinnahrung. Coca Cola, Mc Donald's, Globalisierung, Krieg, sowie die Lage der Frauen in Zeiten des Empire. Von Ellen Diederich.

Thomas Friedman, Kolumnist der New York Times stellte fest, dass für eine funktionierende Globalisierung die USA als unüberwindliche Macht handeln müssten. Die unsichtbare Hand des Marktes brauche die sichtbare Faust der amerikanischen Streitkräfte. Mac Donalds mit seinem Fast Food könne nicht ohne die Kampfjets von McDonnellDouglas expandieren. (zit. Nach Jean Ziegler, in: ND., 16.4.03, S. 3)

"Die USA als Weltmacht"

Die Vereinigten Staaten von Nordamerika erheben sowohl militärisch und ökonomisch den weltweiten Führungsanspruch.
In den USA ist die größte Konzentration der ökonomischen und militärischen Macht. Das heißt aber nicht, dass die Finanz- und Herrschaftsstrukturen ausschließlich in den USA zu finden sind. Das globale System der Dominanz ist überall auf der Welt. "Das Empire ist kein amerikanisches System, sondern schlicht kapitalistisch. Kein Staat kann das Empire führen. Es ist eine neue Form der Souveränität - das Netzwerk vieler Mächtiger. Das Empire regiert die Welt. Es ist global und dezentral, es kennt kein Außen mehr, es unterwirft alles und jeden." Sagen Toni Negri und Michael Hardt in ihrem Buch: Empire, London 2000

Was ist das Empire?
Die US-Regierung, die internationalen Institutionen, die G7 Staaten, Weltbank, IWF, WTO, OECD, NATO, die zusammen mit den Finanzakteuren der Wall Street und den multinationalen Konzernen die weltweiten Prozesse der sogenannten Liberalisierung und Privatisierung steuern. Verschiedene Institutionen steuern und kontrollieren diese Prozesse. Im militärischen Bereich sind es vor allem: Die US-amerikanischen Kriegskräfte, die NATO, die in den Entscheidungsprozessen immer bedeutungsloser wird. Im zivilen Bereich sind es vor allem: Die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und die WTO, die Welthandelsorganisation.

Symbole dieses ökonomischen Imperialismus sind Coca Cola und Mc Donald's, die Produzenten von Zuckerlimonade und Frankenfood. No Frankenfood war einer der Slogans in Seattle. Frankenfood bedeutet: Frankensteinfood, also Frankensteinnahrung, genetisch manipulierter und industriell hergestellter Fraß. Coca Cola und Mac Donald's tragen weltweit zu einer absoluten Verschlechterung der Gesundheit bei. Sie sind die großen Verbreiter von Frankenfood.

Was wir essen, ist heute eine politische Aktion.

Coca-Cola und Mac Donald's sind die globalen Markenartikel schlechthin. Coca-Cola ist nach okay das bekannteste Wort der Erde. Jeden Tag fließen mehr als eine Milliarde Coca-Cola-Getränke die Kehlen hinab. Jährlich gibt Coca-Cola über eine Milliarde US-Dollar für Werbung aus.

Coca Cola und Mc Donald's zerstören Wasserreservoire, Anbauflächen der Armen und die Gesundheit von Millionen Menschen in den Industrieländern.

Mc Donald's ist der Traum des American Way of Life - u.a. in der Karriere des Firmengründers Ray Kroc, der aus armen Verhältnissen stammend, zum Herrscher eines Wirtschaftsimperiums wurde. "Mc Donald's ist eine moralisch völlig korrumpierte Organisation, die sich legal im System entwickelt, errichtet mit schäbigen Geschäftspraktiken" Time-Magazin, USA.

Alle 4 Stunden wird weltweit ein neuer Mc Donald's eröffnet. Täglich werden in etwa 35.000 Filialen um die 45 Millionen Menschen abgefüttert. Die Arbeitsbedingungen sind katastrophal, Gewerkschaftliche Organisierung wird unterbunden. In Kolumbien sind mehrere Gewerkschafter, die bei Coca Cola arbeiteten, ermordet worden. Öffentlich wurde gedroht, dass weitere KollegInnen ermordet würden, sollten sie sich gewerkschaftlich organisieren. Von dort ging die "Boykott Coca Cola Kampagne" aus. Auch hier in der BRD haben sich eine Reihe von Kneipen dem Boykott angeschlossen. In Wuppertal hat jetzt Coca Cola über den Bierverlag den Kneipen 5.000 ? angeboten, wenn sie Coca Cola wieder aufnehmen.

Regenwald wird für die Rinder der reichen Welt abgeholzt, in Brasilien und Costa Rica sind große Waldgebiete gerodet worden, Genmanipuliertes Soja wird für das Viehfutter der Satten angebaut. In Brasilien ist bereits 1/5 der Ackerfläche so besetzt. Das Land fehlt für den Anbau von Lebensmitteln für die Menschen. Ein Drittel der Weltgetreideproduk-tion landet in den Mägen der Rinder. 1.3 Milliarden Rinder werden gemästet, genau so viele, nämlich auch 1.3 Milliarden Menschen leiden an Hunger

Krankheiten, die längst als überwunden galten, sind wieder im Kommen. Die Vitaminmangel-krankheit Skorbut ist bei den Menschen, die sich regelmäßig von Fast Food ernähren, auf dem Vormarsch. Die Produkte von Mc Donald's enthalten Geschmacksverstärker, die in ihrer Kombination das künstliche Bedürfnis nach mehr Essen verursachen. Fettleibigkeit und ernsthafte Gesundheitsprobleme sind die Folge.

Mc Donald's kauft Werbezeit vor allem in gewalttätigen Kinderserien mit hohen Einschalt-quoten. In den USA, wo die Bildung bereits viel weiter privatisiert ist, liefert Mc Donald's Materialien für den Unterricht in den Fächern: Umwelt, Wirtschaftskunde und Ernährung. Der Clown Ronald Mc Donald geht in den USA, inzwischen aber auch in Deutschland in die Kindergärten. Mit Programmen wie "Umweltschau, Verkehrserziehung, Sicherheit im Haushalt" werden die Kleinsten über die Mc Donald's Welt informiert. Besonders beliebt sind die Geburtstagsparties.

Mc Donald's und Gesundheit
"Ich habe mich oft gefragt, woran das liegt, dass die Kunden so häufig aggressiv waren. Immer wieder warfen Jugendliche aus heiterem Himmel, ohne Vorwarnung, einem die Pampe vor die Füße, kneteten den Matsch aus Plastikbehältern irgendwo hinein, traten halb aufgefressene Portionen auf dem Boden unter die Bänke, und wenn ich mich zuweilen umsah, wurden mir Aschenbecher hinterrücks nachgepfeffert. Vielleicht lag das am Essen, das eigentlich nur als Fraß zu bezeichnen ist!" Günther Wallraff in Ganz unten

Coca-Cola und Gesundheit
In jeder 0.33 l Flasche Coca-Cola sind zwölf Stück Würfelzucker.
Die Zusammensetzung besteht aus: Wasser, Zucker, Kohlendioxyd, Zuckerkulör, Orthophosphorsäure, Zitronensäure, Koffein, Theobromin, Aromamix aus Colasamen, Limetten-, Zitronenschalen-, Kakao-, Kaffe-, Mate-, Zitwer-Destillat, Johannisbrot-, Mandarinenblätter-, Bittere Orangen-, Ingwer-, Holunderblüten-, Macisblüten-, Kalmus-Tinktur, Zimt und Vanille-Extrakt, sowie aus verschiedenen ätherischen Ölen.

Bei ständigem Konsum sind nachgewiesen: Zahn-, Leberschäden, Knochenbrüche. Trinken Mäuse statt Wasser Coca-Cola, so lassen sich bereits nach vier Wochen Schäden im Erbgut der Leberzellen nachweisen. DNA Addukte gelten als entscheidender Schritt bei der Entstehung von Krebs und sie werden als Ursachen von Herz-Kreislauf-Krankheiten diskutiert.

Durch die Verbindung von Coca-Cola-Dosen und dem Inhaltsstoff Orthophosphorsäure entstehen Auswirkungen auf die Knochengesundheit. Diese Säure ist sehr aggressiv, sie löst Aluminiummengen heraus. Alzheimer PatientInnen haben besonders hohe Aluminium-gehalte im Gehirn.

Coca Cola, Privatisierung und Aneignung von Wasser.
"Ein weiteres Beispiel über die Auswirkungen der Privatisierung von Wasser ist ein Dorf in Südindien, in Kerala. Der Staat Kerala ist einer der wasserreichsten Staaten auf der Welt; es herrscht nie Wasserknappheit. Aber vor zwei Jahren kam der Coca-Cola-Konzern dorthin, und durch einen geheimen Deal mit den regionalen Politikern haben sie begonnen, das Grundwasser anzuzapfen, in Flaschen zu füllen und unter dem Markennamen Kinley zu verkaufen: bis zu 1.5 Millionen Liter Wasser täglich. Ich nenne das Wasserdiebstahl, weil sie die Natur niemals um Erlaubnis gebeten haben. .. Innerhalb von nicht einmal begann der Grundwasserspiegel zu sinken. .. Jetzt gibt es in einem Radius von 2 Meilen keinen Tropfen Wasser mehr. Jeder Brunnen ist trocken, jede Zisterne ist leer, jeder Fluss ist ausgetrocknet." ... Vandana Shiva, Rede beim GATS Kongress Köln, Mai 2003

Eine Zusatzinformation, wie weit der Prozess der Privatisierung von Wasser geht: In Indien, wo die Wasserversorgung des allergrößten Teils der Bevölkerung nicht durch ein ausgebautes Wasserleitungssystem der Kommunen, sondern weitgehend direkt durch die Flüsse gedeckt wird, ist der erste Fluss, der Sheonath in der Provinz Chattisgarh privatisiert worden. Polizei auf Motorrädern fährt am Fluss auf und ab, um zu kontrollieren, dass ja niemand einen Eimer Wasser aus dem Fluss holt. 1 km von den Flussufern entfernt dürfen die Brunnen nicht mehr benutzt werden. In Bolivien durften nach der Privatisierung ebenfalls die Brunnen nicht mehr genutzt, es sollte nicht mal mehr Regenwasser gesammelt werden dürfen, weil alles Wasser privat angeeignet werden sollte.

Es ist kein Wunder, dass besonders Frauen und Mädchen sich im Widerstand organisieren. Gibt es nicht genügend Wasser, so sind Frauen und Mädchen besonders betroffen. Sie müssen viel Zeit aufwenden, um Wasser zu holen. Schockierende Bilder begleiten diesen Fakt: Frauen, die bis zu 12 Stunden am Tag aufbringen müssen, Wasser zu holen. "Weil es weniger Wasser gibt, gibt es auch weniger Grünfutter und damit eine geringere Produktion von Milch wie Kuhfladen, die man als Brennstoff und Dünger verwendet. Weniger Kuhfladen bedeuten geringere landwirtschaftliche Erträge. Geringere Erträge beeinträchtigen die Qualität der Nahrung und die Ernährung der Frauen. Es besteht ein Teufelskreis aus Wasserproblemen und Umweltzerstörung, der die Gesundheit der Frauen beeinträchtigt. ... Fehlender Zugang zu sauberem Wasser in ausreichenden Mengen und zu sanitären Einrichtungen trägt zu Krankheiten bei. .. Die Folge ist, dass insbesondere Frauen und Mädchen sich um kranken Angehörige kümmern müssen. Die Folgen wiederum sind : Unregelmäßiger Schulbesuch und schlechterer Zugang zu Bildung. .. Mit der Privatisierung der Versorgung nehmen die Probleme zu." Miloon Kothari 2- Die Privatisierung der Menschenrechte, in: Social watch Deutschland, Report 2003, S. 32/33

Coca Cola und Krieg

Der 2. Weltkrieg war der Glücksfall für Coca-Cola. Hier begann der Siegeszug der braunen Brause. Die amerikanischen Soldaten tranken mehr als 5 Milliarden Flaschen Coca-Cola in diesem Krieg. Sie waren in allen Teilen der Welt stationiert. Die Brause folgte den Soldaten. Einer der Soldaten, Colonel Robert L. Scott, stationiert bei den Flying Tigers in China, schrieb: "Ich weiß nicht genau, was Demokratie bedeutet, aber bei unseren Gesprächen in China stellte sich heraus, daß wir für dieses amerikanische Mädchen (die Coca-Cola-Flasche) kämpften. Sie bedeutet für uns Amerika, Demokratie, Coca-Cola, Hamburger, saubere Betten und amerikanischen Lebensstil." Für Gott, Vaterland und Coca Cola, die unautorisierte Geschichte der Coca Cola Company

Sieben in Algerien stationierte amerikanische Soldaten schrieben einen Brief an Coca-Cola: "Wenn uns irgendjemand fragt, wofür wir eigentlich kämpfen, sagt bestimmt die Hälfte von uns, für das Recht, wieder Coca Cola kaufen zu können." Ebda.

Im jetzigen Irak-Krieg versorgte Coca-Cola alle US-amerikanischen Soldaten mit Sonnenbrillen. (Informationen zu Coca Cola und Mc Donald's: Siegfried Pater, Zum Beispiel Mc Donalds, derselbe: Zuckerwasser, Vom Coca Cola Imperium, Für Gott, Vaterland und Coca Cola, die unautorisierte Geschichte der Coca-Cola Company)

Coca Cola und Mac Donald's sind die Protagonisten der Globalisierung. "Die globalen Konzerne wollen die Kommerzialisierung unserer Ernten, unseres Trinkwassers, unserer Atemluft und unserer Träume durchsetzen. Die Länder des Nordens, die die sogenannte zivilisierte Welt bilden, horten Massenvernichtungswaffen und führen ihre neuen Kriege im Rahmen des sogenannten Krieges gegen den Terrorismus. "Empire bedeutet: Die obszöne Akkumulation von Macht, die permanent wachsende Distanz zwischen den Entscheidungsträgern und denen, die die Folgen dieser Entscheidung tragen müssen." Arundhati Roy Rede in Porto Alegre in Le Monde diplomatique März 2003, S. 15

Einige dieser Folgen sind:

Kinderarbeit:
250 Millionen Kinder weltweit sind zur Arbeit gezwungen, 12 Millionen schuften für die Herstellung billiger Exportware, werden sexuell ausgebeutet und versklavt.

Versklavung:
Die Gesamtzahl der versklavten Menschen heute wird auf 100 Millionen Menschen geschätzt. Zur Hochzeit der Sklavenhaltergesellschaften in den letzten drei Jahrhunderten gab es nie mehr als 12 Millionen versklavte Menschen.

Wirtschaftsmächte:
Unter den hundert größten Wirtschaftsmächten der Welt sind heute 48 Länder und 52 Konzerne. Diese 52 Konzerne haben soviel Umsatz, dass sie den vieler Länder überschreiten. Unter diesen 52 sind Daimler/Chrysler, Volkswagen und die Deutsche Bank.

Konzerne:
Der reichste Konzern der Welt ist General Motors, die zehn ersten wichtigsten Marken sind US-Konzerne, angeführt von Coca Cola, Microsoft, Disney und Mac Donalds.

Armut und Reichtum:
Jedes Jahr fallen 200 Millionen Menschen mehr unter die absolute Armutsgrenze, haben also weniger als einen Dollar am Tag zur Verfügung. In Nigeria leben über 40% in Ruanda, Papua Neu Guinea und dem Irak mehr als 30% der Bevölkerung unterhalb dieser Armutsgrenze. 50.000 Menschen sterben täglich an Unterernährung, darunter sind 35.000 bis 40.000 Kinder. 53.7% der Weltbevölkerung, alle Menschen in China, Südasien und den Ländern Subsahara zusammen verfügen über 6.1% des Welteinkommens.
15% der Weltbevölkerung, alle reichen Länder, verfügen über 78.3% des Welteinkommens. (Chossudowsky, a.a.O. S. 45)
Die Auslandsschulden der Länder der 2/3 Welt haben sich seit 1980 vervierfacht. Sie stiegen seit 1980 von 658 Milliarden Dollar auf 2465 Milliarden Dollar im Jahre 1998 und dürften heute bei 3000 Milliarden Dollar liegen.
475 Milliardäre der Welt besitzen genau soviel wie die ärmeren 50% der Menschheit. In den USA besitzen 1% der Haushalte 40% des nationalen Gesamtvermögens.
Die Reallöhne sind weltweit in den letzten 25 Jahren um 10 % gesunken.

Kulturelle Hegemonie:
Die kulturelle Hegemonie soll durchgesetzt werden. Dieser Begriff ist von Antonio Gramsci, bedeutet: " WENN MAN DIE KÖPFE DER MENSCHEN BESETZEN KANN, WERDEN IHRE HERZEN UND HÄNDE FOLGEN" Susan George, Kölner Rundbrief gegen Konzernherrschaft, Nr. 1, S. 5.
Sie ist soweit fortgeschritten, dass wir überall auf der Welt die gleichen in US-amerikanischen Filmstudios entstandenen Filme sehen, die Seifenoper Dallas flimmerte in nahezu allen Ländern der Erde in die Wohnungen, Disneyland ist ein Weltreich, Popstars werden zu globalen Autoritätsfiguren. "Satelliten, Kabel, Walkmans, Videorecorder, CD's und andere Wunderwerke der Elektronik sind die Arterien, durch die die modernen Unterhaltungskonzerne die Weltkultur gleichmachen."
Barnet/Cavanagh, Die globale Homogenisierung der Kultur, Schwarzbuch Globalisierung, S. 253

Saatgut:
"Seit Tausenden von Jahren haben Bauern nach der Ernte ihr Saatgut aufgehoben, um im nächsten Jahr wieder auszusäen. Der US Konzern Monsanto hat ein Saatgut entwickelt, das sterile Nachkommen hat, sich selbst vernichtet. Dieses Saatgut nennt man Selbstmord Samen und es bedeutet, dass die Bauern jedes Jahr neues Saatgut kaufen müssen." Maria Mies, Globalisierung von unten, S. 91

Freihandelszonen:
In weltweit über 800 Freihandelszonen schuften Millionen Menschen, vor allem Frauen für die multinationalen Konzerne. Die Arbeitszeit beträgt zwischen 12 und 16 Stunden, die Löhne sind 1 - 4 Dollar am Tag, die Arbeitsbedingungen unbeschreiblich.

Globalisierung von oben
"Diese "Globalisierung von oben" bedeutet absolute Freiheit der multinationalen Konzerne, in allen Ländern der Welt zu tun, was sie wollen. Der Verwaltungspräsident Barnewick der Asea-Brown-Bovery-Gruppe, eines der größten Multis der Welt, definierte Globalisierung folgendermaßen:
"Ich würde Globalisierung als die Freiheit für meine Gruppe von Unternehmen definieren, zu investieren, wo und wann sie will, zu produzieren, was sie will, zu kaufen und verkaufen wo sie will, und die möglichst geringsten Restriktionen zu unterstützen, die aus Arbeitsgesetzen oder anderen sozialen Übereinkünften resultieren."
Zitiert nach; Maria Mies, Frauenarbeit: Der Pfeiler der Globalisierung, in: Eine andere Welt ist möglich, Dokumentation attac-Kongreß, VSA 2002, S. 108

Globalisierung und Krieg
"Unter der neuen Weltordnung bestimmen die Militärplaner des Außenministeriums, des Pentagons und der CIA die Außenpolitik der USA. Sie unterhalten auch Kontakte zu Vertretern des IWF, der Weltbank und der Welthandelsorganisation (WTO). Die internationale Finanzbürokratie in Washington wiederum, verantwortlich für die mörderischen Wirtschaftsreformen, die sie der 2/3 Welt und den meisten Ländern des ehemaligen Ostblocks aufzwingt, pflegt enge Beziehungen zum Finanzestablishment der Wall Street." Michel Chossudowsky, Global brutal, Frankfurt 2002, S. 12
(Die Wall Street war übrigens während der Zeit, in denen die USA eine Sklavenhaltergesellschaft war, der Sklavenmarkt, die Mauer, an der die Sklaven physisch angekettet waren. Heute ist nahezu die ganze Welt an diese Mauer angekettet. E.D.)

Die Mächte hinter diesem System sind die globalen Banken und Finanzorganisationen, der militärisch-industrielle Komplex, die Öl- und Energiegiganten, die Biotech-Konzerne sowie mächtige Medien- und Kommunikationsunternehmen mit ihren gefälschten Nachrichten und offenkundigen Verzerrungen der Weltereignisse.

Zur Zeit gibt es in über 30 Ländern Kriegs- und Nachkriegssituationen.
Ich arbeite seit 42 Jahren in der internationalen Frauen- und Friedensbewegung, war in mehreren Kriegs- und Krisengebieten, habe Widerstandsaktionen und Hilfe insbesondere für vom Krieg betroffene Frauen und Kinder mit organisiert.

Bei dieser Arbeit haben wir festgestellt, dass 80 - 90% der in den heutigen Kriegen betroffenen Menschen Frauen und Kinder sind.
Die Mehrheit von Frauen und Kindern ist heute unmittelbar in Gefahr...

durch DIREKTE GEWALT,
durch WAFFENGEWALT IN KRIEGS- UND KRISENGEBIETEN,
durch STRUKTURELLE GEWALT der Ökonomie, Hunger und Umweltzerstörung,
durch STAATLICH LEGITIMIERTE GEWALT bedroht oder umgebracht zu werden.


Als Friedensarbeiterinnen sind wir keine vorgeblich objektiven Berichterstatterinnen, die aus dem sicheren Abstand der Theorie, des Geldes oder der Nachrichten über Kriege berichten. Im Verlaufe unserer Arbeit haben die Kriege jede Abstraktion für uns verloren. Dadurch, dass wir in die Kriegsgebiete gegangen sind, haben sie Namen und Gesichter bekommen.

Wie oft kamen der befürchtete Anruf oder die Email am Tag oder in der Nacht: Isabels Mann ist durch eine Autobombe im Washingtoner Exil durch den chilenischen Geheimdienst mit Unterstützung der CIA getötet worden. Anna arbeitet beim Komitee der Mütter der Verschwundenen in El Salvador. Ihre vierjährige Tochter wird nach unserer gemeinsamen Reise durch Europa, um über Salvador aufzuklären, absichtlich von einem Militär LKW angefahren und schwer verletzt. Laura vom gleichen Komitee wird nach unserer Reise von den Todesschwadronen geholt, vergewaltigt und gefoltert. Maria musste endgültig aus Tschetschenien fliehen. Das Haus von Monicas Eltern in Nordirland ist von einer Bombe getroffen worden. Carmen wurde von sechs Soldaten vergewaltigt, sie haben ihr eine Brust abgeschnitten, aus dem Militärbus auf die Straße geworfen in der Annahme, sie sei tot. Ein zufällig vorbeikommender Taxifahrer fand sie, brachte sie ins Krankenhaus, so wurde sie gerettet. Lara hat die Vergewaltigung in Bosnien nicht verkraftet, ist wie versteinert, hat sich jetzt der kroatischen Armee angeschlossen. Gloria, die von der UNO ausgezeichnete Bürgermeisterin des Friedens, wird in Kolumbien durch einen General öffentlich bedroht, ihr Leben ist gefährdet. Sumaya erzählt, dass sie in den letzten drei Monaten auf 76 Beerdigungen in Palästina war, unter den Toten viele Jugendliche, Freunde ihres Sohnes. Die Liste ist endlos lang.

Wie sind wir in unserem Teil der Erde eingebunden in diese Entwicklungen?

Wir sind eingebunden in den sogenannten Krieg gegen den Terrorismus, der in Wirklichkeit ein unverhüllter Krieg zur Aufrechterhaltung der ökonomischen Interessen eines kleinen Teiles der Menschheit ist. Deutsche SoldatInnen agieren in verschiedenen Teilen der Erde in Kriegs- und Krisengebieten.

Wir leben in einer Zeit großer Verunsicherung, hören in der Bundesrepublik jeden Tag von den Veränderungen. Es geht um die sogenannte Rentenreform, die für das Leben im Alter Unsicherheit heißt, die Beschneidung der medizinischen Versorgung, Arbeits-zeitverlängerung und -intensivierung, den Verkauf von kommunalem Eigentum an Konzerne, die zunehmende Polarisierung in Arme und Reiche. Den Riss, der durch die Gesellschaft geht, spüren wir sehr deutlich.

Veränderungen drücken sich auch in Sprache aus. Ich sehe den Missbrauch von Sprache durch diejenigen, die sich die Definitionsmacht für Begriffe nehmen und sie in ihr Gegenteil verkehren.

Außenminister Joseph Fischer definiert Krieg. Er sagt: "Krieg ist die realpolitische pazifistische Konsequenz", Krieg wird umdefiniert zum Frieden, Humanität wird in den neuen Kriegen zur Humanitären Intervention, Pazifismus ist nicht mehr Pazifismus, sondern Drückebergerei, sagt Erhard Eppler. Liberalität wird zum Neoliberalismus, Demokratie bedeutet neoliberaler Kapitalismus, Freiheit wird zu Besatzung. "Worte wie Bevollmächtigung und Friedenserhaltung jage uns einen kalten Schauer über den Rücken." A. Roy, Die Macht der Zivilgesellschaft in einer imperialen Zeit.Die Entwicklung der Grünen lässt sich in einem Satz von Antje Vollmer gut charakterisieren. Nach der Abstimmung zum Afghanistan Einsatz sagte sie;" Mein Ja war eigentlich ein Nein!"

Ein Staat, der soziale Gerechtigkeit für seine BürgerInnen will, sei nicht mehr zeitgemäß, wird umgewandelt in einen Staat, in den die Bestimmung der gerechten Ungleichheiten gehört, sagt die SPD. Der Begriff des demokratischen Sozialismus sei nicht mehr zeitgemäß, sagt Olaf Scholz, mit diesem Begriff lasse sich kaum noch etwas anfangen. Einer der theoretischen Vordenker der heutigen SPD, Thomas Meyer, sagt: Wir müssen uns von der antiquierten Bismarckschen Sozialgesetzgebung, die im Sozialstaatsgedanken "fortwuchert", verabschieden und die Umwandlung der Idee des demokratischen Sozialismus in eine soziale Demokratie der offen Wirtschaft vollziehen.

Soziale Gerechtigkeit ist ein durch die französische Revolution und die Arbeiterbewegung gleichsam geprägter Kampfbegriff. Ich werde ihn nicht aufgeben!

Das, was in den USA und Großbritannien bereits unter Ronald Reagan und Margret Thatcher begann, die sogenannten Liberalisierung und Privatisierung, wird jetzt auch in den anderen Ländern der EU, vor allem aber auch in den Ländern der 2/3 Welt und den Ländern des ehemaligen Ostblocks beängstigende Realität.

Was können wir tun, welches sind unsere Möglichkeiten in diese Prozesse einzugreifen? Was können wir tun?

Die wichtige Frage in diesem Kontext heißt: Wer ist berechtigt, die Regeln der Wirtschafts- und Sozialordnung aufzustellen, die weltumspannend gilt? Ein exklusiver Club der Reichen und Superreichen? Oder diejenigen, die den Millionen von Ausgeschlossenen ihre Stimme leihen?

In Porto Alegre in Brasilien trafen sich im Januar 2003, in Mumbai im Januar 2004 jeweils etwa 100.000 Menschen, die sich der konzerngesteuerten Globalisierung entgegenstellen. Hier trifft sich die Bewegung der vielen Menschen, die wieder die Bestimmung über Lebensbedingungen in die Hand nehmen, die ein Leben auf Gegenseitigkeit, Kooperation, Gleichwertigkeit, Achtung und Liebe zwischen Männern und Frauen, Kindern und Erwachsenen, Mensch und Natur und anderen Kulturen erreichen wollen.

Teil dieser Bewegung ist die Friedensbewegung. Am 15. Februar 2003 wurde eine Vision wahr. 15 - 20 Millionen Menschen weltweit gingen auf die Straße und protestierten gegen den Krieg im Irak. Von Neuseeland bis Mexiko, von San Francisco bis Madrid. Diese Bewegung ist anders als die in den achtziger Jahren. Die Fragen nach den Zusammenhängen, nach den Interessen, die diese Kriege bestimmen, sind klarer formuliert als je zuvor. So unverschleiert waren die Interessen nie zuvor.

Die New York Times unterstützt den Kriegskurs der US-Regierung. Trotzdem kam sie am 17. Februar 03 zu der bemerkenswerten Einschätzung, dass es jetzt zwei Supermächte auf der Erde gäbe: Die USA und die öffentliche Meinung der Welt. Präsident Bush finde sich nun Auge in Auge mit einer hartnäckigen Widersacherin, nämlich der weltweiten Antikriegsbewegung, wieder.

Eine handfeste Konsequenz aus dieser Erkenntnis war die Wahlniederlage der spanischen Konservativen bei den Parlamentswahlen im März 2.004. 95% der spanischen Bevölkerung war gegen den Irak Krieg. Die Regierung Aznar unterstützte den Kriegskurs der US Regierung. Die Widersacherin Öffentliche Meinung hat sie abgewählt.

Auch in den USA sammeln sich die Kriegs- und Globalisierungsgegner. Diplomaten verließen ihren Job, Abgeordnete führten scharfe Reden gegen den Krieg, 136 Städte erklärten sich zu Cities for Peace, die Move on Bewegung sammelt als Gegeninformationsmöglichkeit 1.3 Millionen Internetnutzer der Friedensbewegung, Das New York action center, der virtuelle Marsch auf Washington legte die Leitungen des Weißen Hauses lahm, die Geschäftsleute für sensible Prioritäten schalteten Anzeigen gegen den Krieg im Wall Street Journal usw., GewerkschafterInnen und Kirchenleute standen auf und beteiligten sich an vielen Aktionen.

In Italien streikten die Hafenarbeiter und weigerten sich, Schiffe mit Waffen für den Irak zu beladen. In Spanien gingen 10% der Gesamtbevölkerung auf die Straße. In Deutschland verließen Zehntausende von SchülerInnen ihre Schulen und protestierten. Hier sollten wir uns Gedanken machen, wie wir mit den jungen Leuten weiterarbeiten wollen.

Aus Kanada kommt die Initiative: Rooting out Evil, das Böse mit der Wurzel ausrotten. Diese Initiative will Waffeninspekteure in die USA schicken. Die Bush-Regierung hat 4 Kriterien aufgestellt, um gefährliche Staaten identifizieren zu können:
umfangreiche Lager an chemischen biologischen und nuklearen Waffen
Die Nichtbeachtung der Resolutionen der Vereinten Nationen
Die Weigerung, internationale Verträge zu unterzeichnen und zu respektieren
Die Übernahme der Regierenden durch illegale Mittel
Diese 4 Kriterien treffen auf die USA zu, eine Inspektion ihrer Waffenanlagen ist von daher unumgänglich. Wir sollten uns dieser Initiative anschließen.

Eine Gruppe, die international in all diesen Zusammenhängen sehr aktiv geworden ist, ist ATTAC. Attac ist die französische Abkürzung für Action pour une taxe Tobin d'aide aux citoyens" Aktion zugunsten der Tobin Steuer zur Hilfe an die Bevölkerung" oder auch: eine Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen. Attac wurde 1998 in Frankreich gegründet. Attac hat über 55.000 Mitgliedern in 30 Ländern und ist ein gewichtiger Teil der Bewegung gegen die konzerngesteuerte Globalisierung.
Die grundlegende Überzeugung ist: Die Wirtschaft muss den Menschen dienen und nicht umgekehrt. Politik muss sich an den Leitlinien von Gerechtigkeit, Demokratie und ökologisch verantwortbarer Entwicklung ausrichten.
Attac will ein breites gesellschaftliches Bündnis als Gegenmacht zu den entfesselten Kräften der Märkte bilden. Dabei geht es nicht um ein zurück zum vermeintlich idyllischen Zustand vergangener Jahrzehnte. Alternativen sind nötig und möglich. Die Behauptung, Globalisierung in ihrer jetzt herrschenden, neoliberalen Form sei ein alternativloser Sachzwang, ist reine Ideologie. Die Vorstellung von attac hält dem entgegen: Internationale Solidarität von unten. Eine andere Welt ist möglich.

Andere Formen des Widerstandes entwickeln sich auf nationaler, regionaler und örtlicher Ebene, überall haben sich Gruppen gebildet, die sich gegen Privatisierung von öffentlichem Eigentum wehren, die Kampagne gegen das GATS hat sich weltweit vernetzt.

Die Bauernbewegung Via Campesina, die im Kontext der Globalisierungsbewegung entstanden ist, ist heute in vielen Teilen der Erde verankert und wächst stündlich. In Indien ist die Bauernbewegung sehr stark. Sie organisiert ihren Widerstand gegen die Agroökonomie der Großkonzerne nach den Prinzipien Mahatma Gandhis. Der Begriff Wahrheitsbewegung, Satyagraha, den Gandhi für seine Bewegung gegen die britische Kolonialmacht wählte, haben die Bauern für ihren Kampf übernommen. Saatgut Satyagraha nennen sie sich. Gleichzeitig ist hier die Bewegung gegen die Staudämme zur größten Massenbewegung geworden

Die Bauernbewegungen setzen sich für die Produktion gesunder Nahrung, gegen die Interessen der multinationalen Konzerne ein. In Frankreich hat die confederation paysanne mit ihrem Symbol Jose Bove und den spektakulären Aktionen gegen Mc Donalds, gegen Gensaat und anderes Zeichen gesetzt..

Eine Aktion in diesem Kontext hat mich besonders beeindruckt: Die Entwicklung der Stadt Belo Horizonte in Brasilien. Die drittgrößte Stadt Brasiliens heißt Belo Horizonte. Dort ist es in einem 1993 begonnenen Prozess gelungen, dass kein Kind und kein Mensch mehr Hunger leidet. Ein Fünftel der Kleinkinder waren unterernährt, viele Bewohner vegetierten am Rande der Armut.

In dieser Stadt gehört das Recht auf gute Nahrung heute zum Bürgerstatus. Jedes Kind in den Elendsvierteln erhält vier durch die Stadt finanzierte Mahlzeiten am Tag. Die Kalorienzufuhr hat sich verdoppelt. Alle Produkte kommen von ortsansässigen Produzenten, bzw. von Bauern aus dem Umland. Überall gibt es Volksrestaurants, wo die Leute zu einem absoluten Niedrigstpreis gutes Essen bekommen.

Die Grundentscheidung heißt:
Auch wenn der Markt Menschen ausschließt, die zu arm sind, um Konsumenten zu sein, sind sie trotzdem BürgerInnen. Die Ernährung der Menschen darf nicht durch Marktmechanismen gefährdet sein. Dass die Menschen gute Nahrungsmittel essen, auch wenn sie arm sind, hat nichts mit Wohltätigkeit oder mit Notprogrammen zur Ernährung Hungernder zu tun. zu tun. Das Konzept der Nahrungssicherheit ist das Ergebnis eines größeren Blickwinkels, der in erster Linie den Bürger und nicht den Verbraucher in den Mittelpunkt rückt.

Der Wohltätigkeitsgedanke muss fallen gelassen werden. Diese andere Konzeption ist die Befreiung aus der Wohltätigkeitsfalle. Die Pflicht der Regierung ist es, sich für eine Korrektur der Marktdefekte einzusetzen.

Es gibt eine Reihe von konkreten Umsetzungsschritten:
Inzwischen gibt es an 25 Verkaufsstätten Bauern, die ihre guten Produkte dort für die Hälfte des normalen Preises verkaufen. Die Händler fahren dazu noch jedes Wochenende mit Obst und Gemüse in die armen Stadtviertel und verkaufen dort. Diese Bauern und Händler erhalten Land und Standorte für den Verkauf zu ganz geringen Preisen. Außerdem bekommen sie Abnahmegarantien. Durch die Aktion "Grüner Korb" sind 36 Biobauern direkt mit Krankenhäusern, Restaurants usw. vernetzt. Im Zusammenhang mit der städtischen Umweltbehörde und einem gemeinnützigen Verein sind 4 Ökozentren errichtet worden. Sie züchten Saatgut und Setzlinge für städtische Projekte:
Dutzende von öffentlichen Grünanlagen, vierzig Schulgärten und informieren über umweltfreundliche Anbaumethoden.
Es gibt Antiwerbekampagnen - viele Leute kommen vom Land und waren gewohnt, Gemüse und Obst zu essen. Durch die Werbung sind sie auf ungesunde Nahrung umgestiegen. Dem arbeiten die Zentren entgegen.

Wir sind dabei zu überlegen, wie man das Konzept von Belo Horizonte auf uns übertragen kann. Welches sind bei uns die Rechte, die wir haben wollen? Statt der Tafel, wo die Armen von den Abfällen leben, das Recht auf gesunde Ernährung für alle, das Recht auf Gesundheitsversorgung, auf menschenwürdigen Wohnraum, auf Arbeit, von er die Menschen leben können.

Zusammenschließen ist notwendiger denn je. Bei den Montagsdemonstrationen und bei anderen Initiativen und Bewegungen. Das wird nicht von heute auf morgen erledigt sein.

Wir brauchen einen langen Atem, kluge und warmherzige Menschen. Eine von ihnen ist die indische Schriftstellerin und Aktivistin Arundhati Roy. In ihrer Rede in Porto Alegre in diesem Jahr antwortete sie auf die Frage, was wir tun können:

"Wir können unser Gedächtnis schärfen und aus unserer eigenen Geschichte lernen. Wir können der öffentlichen Meinung Ausdruck geben, bis sie zum ohrenbetäubenden Gebrüll wird."... Wir können zeigen, "dass die Menschen dieser Welt nicht nur die Wahl zwischen einer bösartigen Mickymaus und wahnsinnigen Mullahs haben. Unsere Strategie darf nicht nur darin bestehen, das Empire bloßzustellen, wir müssen es regelrecht belagern, dafür sorgen, dass ihm die Luft ausgeht. Wir müssen es beschämen und verspotten. Mit unserer Kunst, mit unserer Musik, unserer Literatur, unserer Dickköpfigkeit, und unserer Lebenslust, mit unserer Raffinesse und unserer Unermüdlichkeit - und nicht zuletzt damit, dass wir unsere eigenen Geschichten erzählen, Geschichten, die sich von denen unterscheiden, die man uns eintrichtern will. Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sie ist bereits im Entstehen. An stillen Tagen kann ich sie atmen hören."

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Perverse Ironie...
Wo andere sich zu Tode hungern müssen, wird's anderswo zum guten Ton:

"Mord an Models. Die Unterwerfung des Körpers unter die Marktgesetze", ein Kommentar aus der Wochenzeitung Freitag.

Innerhalb von drei Tagen - am 14. und am 17. November - starben zwei junge Brasilianerinnen an Magersucht, Anorexie. Tod durch Versagen fast aller Organe, Kreislaufzusammenbruch. Die 21-jährige Carla Sobrado Casalle, 1,74 Meter groß, wog bei ihrem Tod noch 55 Kilo - die ebenfalls 21-jährige Ana Carolina Reston brachte gerade noch 40 Kilo auf die Waage. Beide verfolgten die gleiche Absicht: Ihre Figur den in der Welt der Alta Moda geforderten Standards der schlanken, ranken Frau anzupassen. Sie wollten zu den aus Brasilien stammenden Stars am Himmel der Models wie Giselle Bündchen oder Adriana Lima aufsteigen und in Mailand, Paris oder New York schnell dickes Geld machen.

Wenige Wochen vor diesen tragischen Todesfällen veröffentlichte die Food and Agriculture Organisation der UNO (FAO) ihren Bericht über Nahrungsunsicherheit in der Welt: Die Zahl der Hungernden hat wieder zugenommen. Jährlich sterben 30 Millionen Menschen - sechs Millionen davon Kinder - den Hungertod. Und weil dieser Tod ebenso unnötig ist wie der Hungertod der beiden Models spricht der Schweizer Soziologe Jean Ziegler von millionenfachem Mord. Selbst im reichsten Land der Erde, in den USA, hungern zwölf Millionen Menschen.

Angesichts der sich hinter den Zahlen verbergenden individuellen Schicksale könnte der Tod der beiden Mannequins als Marginalie behandelt werden, würde darin nicht die tragische Paradoxie des Verhältnisses zur Natur - dieses Mal zur inneren Natur - zum Körper und zu seiner Gesundheit aufscheinen. Heute hungern Menschen, weil die Nahrungsmittel in der Welt ebenso ungleich verteilt sind wie Einkommen und Vermögen oder die Verfügung über Produktionsmittel. Doch stoßen wir gleichzeitig auf übergewichtige Menschen, die häufig der gleichen Klasse und Schicht entstammen wie die Hungernden. In den USA sind nach Angaben der OECD fast zwei Drittel der Einwohner fettleibig. Wenn wir die schlecht und unterernährten Amerikaner dazu zählen, sind drei Viertel der Bevölkerung nicht richtig ernährt. Man darf sich kaum wundern, dass ein Verständnis für Schädigungen an der äußeren Natur - etwa durch die hohen Emissionen an Treibhausgasen - fehlt, wenn die innere Natur, die Gesundheit durch quantitativ und qualitativ falsche Ernährung ruiniert wird, ohne dass dies größere Beachtung findet. Schließlich verdient daran ein expandierender medizinisch-industrieller Komplex.

Die beiden tragisch gestorbenen Models sollen als jüngere Mädchen "dicklich" (gordinha) gewesen sein. Dann kamen ihr Wunsch nach einer Karriere als Model und die Abmagerungskuren, die sich zur krankhaften, die Organe bis zum Kollaps schädigenden Magersucht verselbstständigten. Brasilianische Ärzte diagnostizieren, dass in ihrem Land inzwischen bis zu vier Prozent der jüngeren Frauen daran leiden. Unter Models sei der Prozentsatz doppelt so hoch. Der berufliche Erfolg verlangt Opfer, zumindest das Erbrechen der aufgenommenen Nahrung (Bulimie), damit kein Fett angesetzt werden kann. Das muss nicht immer einen tödlichen Ausgang haben - Schäden an Geist und Körper bleiben.

Daher hat die spanische Modeindustrie immerhin einen Body-mass-Index (Verhältnis von Körpergröße und Gewicht) vorgegeben, der Models den Laufsteg versperrt, wenn er eine kritische Größe unterschreitet. Doch welche Perversion verbirgt sich dahinter! Menschen müssen zur vernünftigen Ernährung gezwungen werden, während Millionen Menschen gern essen würden, aber sich keine Mahlzeit leisten können. Der Tod der beiden Models könnte daher auch bösartig als ein obszöner Kommentar auf das Null-Hunger-Programm (zero fome) von Präsident Lula gedeutet werden. Die einen, die den knurrenden Magen füllen wollen und es nicht können, und die anderen, die den Magen am Knurren halten, indem sie die zugeführten Speisen wieder erbrechen. Daran zeigt sich letzten Endes auch, wie kompliziert politisches Handeln selbst bei so einfachen Zielen ist, die jeder verstehen kann: zero fome. Denn es gibt die, für die Hunger das Mittel ist, die Figur "employable" - marktgängig - zu halten.

Vor 60 Jahren publizierte der brasilianische Arzt Josué de Castro mit der Geographie des Hungers ein epochales Werk, doch findet sich darin nichts über die Globalisierung des Körpers - die Zurichtung der brasilianischen gordinha zum spargelschönen Model durch tödlichen Hunger. Die Tragödie der beiden Mannequins aber, die im Vergleich zu den Millionenmassen der Hungernden kaum zählen mögen, zeigt, wie dieses Thema heutzutage in einer Geographie des Hungers nicht fehlen dürfte. Denn was mit Carla Sobrado Casalle und Ana Carolina Reston geschah, das ist ein auf perfide Weise begangener Mord.

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Ein Kind, das an Hunger stirbt...
Aus einem Interview mit Jean Ziegler (UNO-Beauftragter), Germanwatch-Zeitung 4/2005: vgl. J.Ziegler, Das Imperium der Schande, a.a.O.

„In den letzten Jahrzehnten sind auf der Erde unglaubliche Reichtümer entstanden, der Welthandel hat sich in den letzten 12 Jahren mehr als verdreifacht, das Welt-Bruttosozialprodukt fast verdoppelt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist der objektive Mangel besiegt und die Utopie des gemeinsamen Glückes wäre materiell möglich. Und gerade jetzt findet eine brutale, massive Refeudalisierung statt. Die neuen Kolonialherren, die multinationalen Konzerne – ich nenne sie Kosmokraten - eignen sich die Reichtümer der Welt an. Diese neue Feudalherrschaft ist 1000 Mal brutaler als die aristokratische zu Zeiten der Französischen Revolution ... Die Legitimationstheorie der Konzerne ist der Konsensus von Washington. Danach muss weltweit eine vollständige Liberalisierung stattfinden: Alle Güter, alles Kapital und die Dienstleistungsströme in jedem Lebensbereich müssen vollständig privatisiert werden. Nach diesem Konsensus gibt es keine öffentlichen Güter wie Wasser. Auch die Gene der Menschen, der Tiere und Pflanzen werden in Besitz genommen und patentiert. Alles wird dem Prinzip der Profitmaximierung unterworfen. Dabei setzen die Konzerne zwei Massenvernichtungswaffen ein, den Hunger und die Verschuldung. Das Resultat ist absolut fürchterlich ... Ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet ... Diese kannibalische Weltordnung von heute ist das Ende sämtlicher Werte und Institutionen der Aufklärung, unter denen wir bisher gelebt haben, das Ende der Grundwerte, der Menschenrechte. Entweder wird die strukturelle Gewalt der Konzerne gebrochen. Oder die Demokratie, diese Zivilisation, wie sie heute in den 111 Artikeln der UNO-Charta oder im Deutschen Grundgesetz fixiert ist, ist vorbei und der Dschungel kommt. Es ist eine Existenzfrage.“

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Samstag, 8. September 2007
205.000 Opfer eines Krieges
In Gedenken an die Opfer dieses skrupellosen Massenmords:
Ein Kreuz für jedes Opfer.

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Sonntag, 17. Juni 2007
Und du denkst, dir geht es schlecht?

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